SKANDAL!!! GEHT JA GAR NICHT!!! SAUEREI!!! GLEICH AN DEN PRANGER, ABER HOPP!!!!!1!!1!1EINSELF!

Sind Emotionen nicht was Feines? Habe ich Eure Aufmerksamkeit? Habt Ihr Bock Euch aufzuregen? Dann geht doch mal in Euch und überlegt, worüber Ihr Euch in den letzten Wochen und Monate so aufgeregt habt. Wo habt Ihr lauthals Konsequenzen gefordert?

Macht das doch mal! Nehmt Euch vor dem Weiterlesen eine Minute für ein Brain-Storming und denkt an die Nachrichten, an die Arbeit, an Facebook, oder oder oder….Fertig? Schön! Und jetzt mal kurz die Hand auf’s Herz: Tat Euch das gut? Von 0 auf 100? Auf Knopfdruck? Und vor allem, jetzt, wo es vorbei ist und Ihr Euch etwas abgekühlt habt: Kamen zu den Dingen inzwischen neue Fakten ans Tageslicht? Wart Ihr bereits beim ersten Aufbrausen voll umfänglich informiert? Habt Ihr Euch ein richtiges Bild machen können, oder habt Ihr vllt. doch zu früh geurteilt?

Wie kommt der olle Stiesel nun eigentlich auf dieses Thema? Also ich sag es mal direkt: Ausschlaggebend ist die gestrige Mitteilung des Landkreises Friesland und die daraus resultierenden Empörungs-Welle in diesem Neuland! Auf Facebook und Co kann ja (leider) wirklich jeder seine Meinung kundtun. Auf seiner eigenen Seite (so wie ich, „Hallo, meine lieben Follower“), im Profil oder halt gleich beim Urheber in der Kommentarspalte.

Was man da liest ist mitunter unter aller Sau. Es gibt so wenig Informationen, aber mindestens drölf tausend Theorien, Meinungen und Forderungen. Da liest man davon, dass die Mitarbeiterin den Impfstoff nicht hat fallen lassen, sondern in der eigenen Familie geimpft habe. Als nächstes, dass das gaaaaanz bestimmt mutwillig geschehen sei. Impfgegner und Impffreunde tun sich zusammen. Beide Seiten hacken auf der Story rum. Gesittet? Nö, alles andere als das…. leider…..

Aber was wissen wir? Wir wissen, dass eine Mitarbeiterin Impfstoff hat fallen gelassen, wir wissen, dass sie stattdessen eine NaCl-Lösung aufgezogen hat (übrigens nicht schädlich, es fehlt halt nur der Impfeffekt) und wir wissen, dass die Polizei ihre Arbeit aufgenommen hat und nun ermittelt.

Was wissen wir nicht? Wir wissen nicht, ob es zu einer Anklage kommen wird! Wir wissen nicht, ob es zu einem Urteil kommen wird! Wir wissen nicht, ob die Frau in ihrem Beruf und vor Ort übelst unter Druck steht (nun ja, das können wir uns zumindest denken). Der Impfstoff ist aktuell wie flüssiges Gold! Wir wissen nicht, wie sehr der Fehler die Mitarbeiterin belastet hat (immerhin hat sie sich einer Kollegin gegenüber geöffnet)…….. Eigentlich wissen wir gar nichts….

Ein anderer Fall ereignete sich vor einigen Wochen hier im Dorf: In Altmarienhausen verstarb ein Pfau. Ein beliebtes Fotomotiv bei Bürger*innen und Tourist*innen. Die NWZ berichtete damals, dass der Vogel wohl erfroren sei und dass die Gemeinde Sande den Unterschlupf verschlossen habe. Ein Hoch auf die Recherchen der NWZ (dazu gleich mehr)…In diesem Neuland, besser gesagt auf Facebook, in einer Gruppe für Sander*innen, wurde der Bericht gepostet und direkt rollte die Empörungswelle los. Es wurden Konsequenzen gefordert, es wurde auf die Verwaltung und die Politik geschimpft, wie man denn nur den Unterschlupf dieses exotischen Vogels verschließen konnte,…. Ihr könnt Euch das sicherlich vorstellen, immerhin lest Ihr im Internet diesen Text, also kennt Ihr das gewiss schon 😉

Plötzlich kamen die ersten „Augenzeugen“ und eine Bürgerin meldete sich zu Wort und widersprach der Aussage in der Zeitung: Der Vogel sei vermutlich gar nicht erfroren, sondern an Gift gestorben, was die Gemeinde dort ausgelegt hätte. UFFZ… Wasser in den Mühlen…. Diese Bürgerin, die das mit dem Gift behauptete, erzählte, dass sie den Vogel gefunden hatte und die Anwohnerin (die Besitzerin) informiert habe. In der Zeitung jedoch stand, dass sie die Informationen über den Erfrierungstod direkt von der Besitzerin erhalten habe…. Oh man…. Widersprüche, gleich am ersten Tag…. AAAAHH

Also, wieder die Frage: Was wissen wir? Wir wissen, dass der Pfau tot ist, wir wissen, dass die Gemeinde den „Unterschlupf“ verschlossen hat…. Moment…. Wissen wir das wirklich? Also: Ran an die Recherche:

Der Pfau hatte früher die Möglichkeit in ein Gebäudeteil des Hofs zu gehen. Dieser ist jedoch baufällig und die Gemeinde daher VERPFLICHTET ihn zu verschließen, damit Mensch und Tier nicht zu Schaden kommen. Wäre der Vogel innerhalb des Gebäudes verletzt worden, was meint Ihr wohl, wie der skandalfreudige Mitmensch reagiert hätte? Es war also nicht der eigentliche Unterschlupf des Vogels. Er durfte ihn halt früher nur nutzen. Geht nun aber nicht mehr.

Kurz meine Meinung eingeschoben: Der Vogel wird von der Mieterin vor Ort gehalten. Sie ist Besitzerin und in meinen Augen dafür verantwortlich, dass der Vogel artgerecht gehalten werden kann und notfalls einen Unterschlupf hat. Nicht die Gemeinde Sande.

Zum Thema Erfrieren reicht eine kurze Recherche in diesem Neuland: Der Pfau stammt tatsächlich aus etwas anderen Breitengraden. In Indien beispielsweise fühlt er sich zuhause. ABER: Er wird überall, auch in den Zoos, im Freien gehalten. Das ist seine gewünschte Umgebung. Selbst in unseren etwas kälteren Wintern. Es macht dem Vogel ganz einfach nichts aus! Auch dieser Pfau hat es Ewigkeiten überlebt. Warum also in diesem Jahr nicht?

Der nächste Punkt: Das Gift! Die Verwaltung muss transparent sein. Jeder Bürger kann dort gern seine Fragen stellen. Insbesondere die Verwaltung hier in Sande ist stets bemüht solche Emails (WOW, Digitalisierung und so) fix zu beantworten. Herr Eiklenborg (Bürgermeister) und auch Herr Oltmann von der Gemeinde sind dort sehr kooperativ. Ich habe daher eine Anfrage gestellt. Heraus kam, dass die Gemeinde selbst kein Gift auslegt. Es kommt in seltenen Fällen dazu, dass starker Rattenbefall von einem Experten (Kammerjäger) bekämpft werden muss. Dieser setzt dann spezielle Fallen aus (ein Foto wurde der Email angehängt), in dem das Gift ist. Die Box ist ausreichend groß und gesichert. Darüber hinaus verfügt sie über Warnhinweise (ja, ich weiß, die kann der Vogel nicht lesen, aber er kommt auch nicht ans Innere 😉 )

Eine solche Maßnahme gab es im vergangenen Jahr auch in Altmarienhausen, allerdings war sie schon lange erfolgreich abgeschlossen und alle Fallen wieder entfernt, als der Vogel verstarb. Mit der Zeit kristallisierte sich also immer weiter heraus, dass sich die Verwaltung korrekt, ggf. sogar vorbildlich verhalten hat und der Pfau vermutlich einfach nur an Altersschwäche gestorben ist. Ja, das passiert sogar im Tierreich, so eine Frechheit aber auch….

Was hat nun also diese ganze Aufregerei gebracht? Schlussendlich gar nichts…. Nun ja, zumindest nichts Positives. Negatives ist leider sehr wohl hängen geblieben: Die ursprüngliche Meldung und auch ihre Diskussion ist in den Köpfen hängen geblieben. Viele haben gar nicht mehr mitgekriegt, dass es hier absolut keinen Skandal gegeben hat. Aber Wut haben sie weiterhin in ihren Bäuchen. Zu Unrecht…. Schlimm! Denn in der Verwaltung arbeiten Menschen! Sie haben Gefühle, sind verletzlich und lesen mit!

Dies betrifft gewiss auch die Mitarbeiterin aus dem Impfzentrum in Roffhausen. Die WELT berichtete noch, dass die Frau direkt am Samstag fristlos entlassen worden ist. Aus meiner Sicht als Gewerkschafter und ehemaliger Betriebsrat kann ich nur hoffen, dass sie in der Gewerkschaft organisiert ist und sich Hilfe sucht. Sich beraten lässt und falls es sinnvoll ist (denn wir wissen halt einfach mal gar nichts), dass sie eine Kündigungsschutzklage einreicht. Ich gehe mal davon aus, dass das DRK genügend Mitarbeiter hat, sodass Kdg.-Schutz besteht.

Wir täten gut daran bei der ganzen Flut an Nachrichten und Meinungen, die im Internet kursieren, insbesondere bei Facebook, einfach mal einen Gang runter zu schalten. Nach dem Lesen, im worst case, einfach mal eine Runde zu spazieren und uns immer die Fragen zu stellen: Was wissen wir eigentlich und was wissen wir nicht? Wir tun uns selbst nichts Gutes, wenn wir gleich hochfahren. Wir laufen Gefahr Leute öffentlich zu diskreditieren, zu verletzen oder Schlimmeres. Aber was haben wir selbst eigentlich davon?

Werdet Euch bitte Eurer Gefühle bewusst! Es ist okay sie zu haben…. Nein, es ist gut sie zu haben! Aber Emotionen sind die Chaos-Komponente jeder Vernunftsrechnung. Wartet ab, bis sich die betroffenen Leute ggf. einfach öffentlich zu Vorwürfen äußern oder Ermittlungen Ergebnisse liefern. Hinterfragt, ob es nicht ggf. Gründe gegeben hat, warum sie so gehandelt haben und ob es Eure Aufgabe ist, diese zu ermitteln. Wir haben ein funktionierendes Rechtssystem! Auch, wenn ich so einige Dinge nicht nachvollziehen kann, in bestimmten Fällen härtere Strafen wünschte (politisches Problem), oder oder oder, ich vertraue auf dieses Rechtssystem und das solltet Ihr auch!

Das waren nur zwei Beispiele, eines frischer, das andere zumindest nicht zu alt, aber ich kann das täglich beobachten. Ich habe es im Betrieb erlebt, ich habe es privat erlebt, ich habe es in Parteien erlebt. Erinnert Euch bitte immer an rechtsstaatliche Prinzipien! Sie sind enorm wichtig in einer funktionierenden Gesellschaft. Das lässt sich bis in die Familie runterbrechen. Urteilt nicht vorschnell, lasst die Menschen ggf. zu Wort kommen und öffnet Euch für andere Blickwinkel und achtet bitte auf Eure Kommunikation! Nie vergessen: Errare humanum est!


1 Kommentar

Klaus-Bünting-Halle – Eine kommunikative Katastrophe und ein altes Problem… – Torge Heinisch · Juli 18, 2022 um 1:35 pm

[…] und unüberlegte Kommentare abgeliefert. Ich verweise hier gern nochmal an meine Ausführungen zum Mopper-Paradox (hier Teil 2). Für eine störungsfreie gemeinsame Kommunikation wäre es wohl notwendig gewesen […]

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