Vergangene Woche hat die Gemeinde in einer Pressemitteilung erklärt, dass die Klaus-Bünting-Halle in Neufeld für die Beherbergung ukrainischer Geflüchtete vorbereitet werde. Im Netz tobt die Menschheit und ich wurde an vielen Stellen gebeten mich an der Diskussion zu beteiligen.

Diskutiert wird jedoch an sehr vielen Stellen: In lokalen Gruppen, auf Seiten der Wilhelmshavener Zeitung, in heimischen Wohnzimmern, etc.. Da ich mich schlecht an allen Orten mit der nötigen Hingabe an den Diskussionen beteiligen kann, beschränke ich mich auf eine Stellungnahme hier auf meiner Homepage und möchte gern meine Meinung dazu beitragen. Für weitere Diskussionen stehe ich im persönlichen Gespräch über WhatsApp, Mail oder Messenger gern zur Verfügung.

Das eigentliche Problem: Die Kommunikation

Empört wird sich im Netz über viele Dinge und da werden von vielen Seiten vermutlich sehr emotional aufgeheizte und unüberlegte Kommentare abgeliefert. Ich verweise hier gern nochmal an meine Ausführungen zum Mopper-Paradox (hier Teil 2). Für eine störungsfreie gemeinsame Kommunikation wäre es wohl notwendig gewesen erstmal eine Nacht darüber zu schlafen.

Aber ein kurzer Break: In meinen Augen wurde der erste Fehler bei der Verwaltung gemacht: Durch die Kommentierungen mindestens zweier Ratsherren an den o. g. Orten könnte man glauben, dass der Gemeinderat in diese Entscheidung aktiv mit eingebunden worden sei. Wer die öffentlichen Ausschusssitzungen mitverfolgt wird aber schnell feststellen können, dass es hier keine Diskussionen dazu gegeben hat. Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster: Dies trifft auch für nicht öffentliche Sitzungen zu! Es hat lediglich frühzeitig Informationen dazu gegeben, dass weiterhin Wohnungen gesucht werden. Dies wurde jedoch auch der Öffentlichkeit mitgeteilt (das wird später noch einmal wichtig).

Darüber hinaus hat es nur eine Woche vor der Pressemitteilung die Information gegeben, dass die Halle aktuell die wahrscheinlichste Option sei. Fakt ist jedoch: Es handelt sich um keinen Rats-Beschluss, sondern um eine reine Verwaltungsentscheidung um Pflichtaufgaben, die durch die Verteilungsschlüssel vom Bund, über die Länder auf die Kommunen runtergebrochen werden, erfüllen zu können.

Als Ratsmitglied hätte ich mir durchaus mehr Kommunikation gewünscht. Meine Bitte geht an dieser Stelle jedoch an meine Rats-Kolleginnen: Bitte lasst jetzt nicht zu, dass ein Keil zwischen die Gruppierungen getrieben wird. Denn ich bin mir sehr sicher, dass sich alle Gruppen und Fraktionen der Wichtigkeit der Hilfe für Geflüchtete bewusst sind.

Der viel größere Fehler in der Kommunikation der Verwaltung scheint es jedoch gewesen zu sein nicht proaktiv mit den Vereinen zu sprechen. Ich bin nicht im TUS Sande oder im Gemeinde-Sportbund. Ich kann dies daher auch nur aus den offiziellen Medienberichten entnehmen, daher auch bewusst „es scheint…“.

Dass die Vereine ihren Tätigkeiten nachgehen können ist wichtig. Insbesondere, weil die Sportvereine auch sehr viel für die Integration der Geflüchteten beisteuern können. Aber auch für die Kids und Jugendlichen ist es notwendig ihre Punktspiele machen zu können und ihren Tanzsport durchführen zu können. Im Vorfeld wurde scheinbar mit dem Landkreis und auch dem DRK eine Begehung verschiedener potentieller Orte durchgeführt. Hier hätte man die Vereine schon mit ins Boot holen können bzw. müssen.

Final sieht es leider so aus, dass das DGH in Cäci, welches gewiss auch meine bevorzugte Lösung gewesen wäre, nicht in Frage kommt. Fehlende Duschen, zu wenig Platz,…. Die Gründe scheinen mannigfaltig zu sein, aber auch nachvollziehbar. Die GS Cäci mit einzubeziehen führt definitiv nach den Ferien zu einem Problem im Betrieb der Schule. Sanitär-Container sind aktuell nicht zu bekommen. Das Problem ist ja derzeit kein exklusives Sander Ding, sondern besteht in vielen Kommunen. Die Container sind einfach vergriffen. Als Metalhead darf ich sagen: Es gibt seit diesem Jahr auch wieder Festivals, da werden auch viele dieser Container genutzt.

Wichtig wäre eine Botschaft gewesen, die man frühzeitig in Richtung der Vereine hätte senden müssen: Ja, wir wissen, dass das sch***e ist, aber wir kriegen das gemeinsam hin! Aber auch das steht ja bereits in der Pressemitteilung und somit in der Zeitung: Man spricht mit dem LK über die Nutzung der Halle der OS. Die Tanzgruppe dürfte vermutlich wirklich im DGH Cäci tanzen können (ich habe mit einem Mitglied gesprochen). Dieses Signal proaktiv zu senden wäre super wichtig gewesen, das hat die Verwaltung leider verschlafen.

ABER: Das sollte auch der einzige Vorwurf in der gesamten Geschichte gewesen sein. Es gibt mitunter aus genannten Gründen aktuell leider keine Alternative zur Klaus-Bünting-Halle und wir müssen jetzt helfen.

Wo ist die geforderte Solidarität mit der Ukraine?

Ich weiß, viele sind von meinen obigen Worten bereits ermüdet, aber haltet bloß durch, denn jetzt kommt der Teil an der ganzen öffentlichen Diskussion in den sozialen Netzwerken, der mich persönlich sauer macht. Es werden ein paar Screenshots folgen, die Ihr unter dem öffentlichen Post der WZ, vom 17. Juli 2022 um 10:30 Uhr finden könnt. Ich habe diese Screenshots heute um 15 Uhr aufgenommen und werde sie nicht anonymisieren, da sie öffentlich dort von den Urhebern gepostet wurden.

Leider findet von der Wilhelmshavener Zeitung dort keine richtige Moderation statt. Teile dieser Kommentare erfüllen in meinen Augen schon den Tatbestand der Volksverhetzung, leider reagiert dort niemand, aber auch Facebook scheint es egal zu sein. Eine Meldung der Kommentare führt nach „Überprüfung“ leider zur Erkenntnis, dass das wohl irgendwie so ganz okay zu sein scheint…. Traurig.

Ich glaub kommentieren muss ich diese Beiträge nicht wirklich, aber dennoch sei kurz gesagt: Es wird niemandem etwas weggenommen (und erst recht nicht „weck genommen“). Es wird auch nichts „umgevolkt“ (wie soll sowas überhaupt gehen?) und absurd ist an dieser Entscheidung auch nichts. Ganz im Gegenteil sie ist absolut rational.

Meine Großmutter ist nun 93 Jahre alt, ihr könnt sie in diesem Video gern kennenlernen. Sie war beim Ausbruch des zweiten Weltkriegs zehn Jahre alt. In meinen Gesprächen mit ihr sprach sie davon wie sie ihren kleinen Bruder im Kinderwagen bei den Luftangriffen schnappen musste und teils im Nachthemd in die Luftschutzbunker rennen musste. Sie erzählte mir davon von der Familie getrennt zu sein, weil sie auf dem Land in einem Internat untergekommen ist. Sie sprach von der Zerstörung und von dem Entbehren müssen. Sie erzählte von meinem Opa, der mit seinem Freund, irgendwo an der Front die Gewehre in den Graben geworfen hat und zurück in den Pott, also nach Hause, gelaufen ist. Bei jedem Auto das man hörte sind sie vor Angst in den Graben gesprungen und haben sich versteckt, denn wären es deutsche Soldaten gewesen, so hätte man sie wegen Fahnenflucht vermutlich ohne Prozess erschossen.

Mit Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine kamen bei ihr alte Ängste wieder auf. Den letzten Krieg, den sie als junges Mädchen erleben musste, hatte ihr eigenes Land vom Zaun gebrochen. Die Generation ihrer Eltern hat so ein großes Leid über Europa und die Welt gebracht und sie weiß, dass wir eine große Verantwortung tragen. Wenn sie bei Facebook unterwegs wäre, dann würden sie solche Kommentare wohl richtig sauer machen. Die Schreibenden haben doch absolut gar keine Ahnung davon was es bedeutet auf Wohlstand zu verzichten, vor Krieg zu flüchten oder in irgendeiner Art und Weise zu entbehren oder Hunger zu leiden. Davon ab: Ich weiß das auch nicht! Ich bin 1985 geboren und vermutlich lebe ich im Zenit des europäischen Reichtums und Luxus.

Wovon ich aber felsenfest überzeugt bin: Statt in die Klaus-Bünting-Halle zum Sport zu gehen ein paar wenige Kilometer mit dem Rad nach Cäci zu fahren, oder die Halle OS zu nutzen, ist absolut kein Vergleich mit dem, was Geflüchtete aktuell durchmachen, wenn sie (hoffentlich nur zeitweise) ihre Heimat verlieren. In Ungewissheit, was mit ihren Angehörigen geschieht, die zurückgeblieben sind um ihr Land zu verteidigen. Irgendwo in den Kommentaren musste ich folgendes lesen: „Der Gedanke ist ja höchst löblich, aber wenn man nicht kann, DANN KANN MAN NICHT!“

Ich finde es widerlich, dass Solidarität scheinbar nur bedeutet am Ententeich Live-Musik zu verfolgen, ’ne Bratwurst zu essen und sich literweise Bier in den Schlund zu kippen! Sobald wir hier tatsächlich auch aktiv etwas machen können stecken sie reihenweise den Kopf in den Sand und fangen an zu jammern.

Torge Heinisch – 18.07.2022

Ähm ja, wohl nicht ganz aufgepasst, denn wir können ja! Es ist nichtmal ein sehr großer Aufwand für uns! Ich finde es widerlich, dass Solidarität scheinbar nur bedeutet am Ententeich Live-Musik zu verfolgen, ’ne Bratwurst zu essen und sich literweise Bier in den Schlund zu kippen! Sobald wir hier tatsächlich auch aktiv etwas machen können, stecken sie reihenweise den Kopf in den Sand und fangen an zu jammern. Das Fest war ein guter Anfang und ein schönes Zeichen, aber jetzt gilt es die Bekundung helfen zu wollen auch umzusetzen und Taten folgen zu lassen. Es tut mir Leid, aber diesen Vorwurf müssen sich viele gefallen lassen! Diese Debatte ist unserer Gemeinde und unserer Gesellschaft absolut unwürdig!

Die Gemeinde hat darüber hinaus seit Wochen gesagt, dass Wohnraum benötigt wird. Nun erwarten uns mindestens 55 weitere Geflüchtete, die wir schlecht in einem Iglu-Zelt am Sander See unterbringen können. Darüber hinaus ist es in meinen Augen auch nicht ausgeschlossen, dass weitere Geflüchtete folgen werden. Russland führt diesen Krieg unerbittlich fort und solange dies der Fall ist müssen wir der Ukraine helfen, auch in Sande!


3 Kommentare

Holger · Juli 18, 2022 um 4:15 pm

Danke, wieder einmal den Nagel auf dem Kopf getroffen.
Ich bin ganz deiner Meinung!

LG Holger

Swantje · Juli 18, 2022 um 6:29 pm

Einfach nur peinlich was man in den Kommentarspalten zu der Diskussion lesen musste, hast ja gute Beispiele eingefügt. Ich hab mich echt sehr fremdgeschämt wie dumm man sein kann, es gibt wohl keine Grenzen.

Uwe Bünting · September 11, 2022 um 1:54 pm

Klaus Bünting, selber ein Kriegsflüchtling, wäre jedenfalls Stolz darauf gewesen, dass die Halle den Menschen in Not zur Verfügung gestellt wurde. Glaube ich beurteilen zu können, er war mein Vater.

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